Was schon 2019 ein unvergessliches audiovisuelles Erlebnis war, wurde in diesem Jahr fortgeführt: Hallig riefen erneut zu einem Konzertabend mit Black Metal unter den Sternen im Planetarium Bochum. Aber auch Damnation Defaced brachten diesmal Death Metal unter die Kuppel. Der verheißungsvolle Titel: "Stellar Darkness".
Am Wochenende des 16. und 17. September wurde es jeweils um 21:00 Uhr hart und unerbittlich im Planetarium Bochum: Die Black Metal-Truppe Hallig, die als Lokalmatadore der Stadt bereits 2019 ein imposantes Event auf die Beine gestellt haben, wollten dieses Jahr erneut das Konzept von Metal-Musik unter dem Sternenhimmel und einer eigens für sie erstellten Show erproben - für das Projekt haben sich diesmal die SciFi-durchtränkte Death Metal-Kapelle Damnation Defaced aus Hamburg und Celle in Niedersachsen ins Boot geholt.
Damnation Defaced, welche am Freitag den Auftakt gaben, bringen bereits seit 2006 ihre Sounds unter die Anhängerschaft experimentierfreudigen Death Metals - ihr Melo Death mit Progressive-Anleihen wird dabei oft mit Synth-Sounds und ähnlichen Klanglandschaften verfeinert und bekommt dadurch einen ureigenen Touch. Ihr jüngstes Album "The Devourer" erschien 2019 bei Apostasy Records (u.a. Fleshcrawl, Night in Gales, Path of Destiny) - seitdem meldete sich die Combo um Philipp Bischoff mit mehreren neuen Singles, u.a. auch Cover-Stücken zurück. Hat man im Black Metal trotz seiner verrohten und für die Ohren vom Mainstream-Publikum eher dissonanten Art noch einen hypnotisch-einlullenden Charakter in der Musik, durfte man bei Damnation Defaced und ihrer Death Metal-Trance gespannt sein, welche Wirkung das Ganze unter der Planetariumskuppel haben mochte. Tatsächlich haben auch sie bereits Konzerte im Hamburger Planetarium mit Video-Arrangements absolviert, die durchweg positive Kritiken erhielten.
Nach kurzen einleitenden Worten vom Team des Bochumer Kuppelbaus leiteten sphärische Klänge die Show der Band ein und man preschte ohne Umschweife voran. Neben den visuellen Untermalungen auf ganzer Halbkugelfläche wurden auch die eigenen Musikvideos der Band mit einem Beamer an eine Seite über den Köpfen der Band geworfen - diese konnten zum Teil auch mit fraktalen Bildern und "Spacedives" überzeugen, waren aber auch mitunter lediglich Performance-Videos, die die Aufmerksamkeit des Zuschauers von der großen Kuppel auf ein kleines Beamer-Rechteck lenkten. Die Show der Hamburger war solide und dürfte Fans und Anhänger ideen- und abwechslungsreichen Death Metals abgeholt haben - nur eben mit Abstrichen in der visuellen Note: Dieses Hin und Her der Show verhinderte leider den Aufbau einer einzigartigen, dichten Atmosphäre - überhaupt war es im Saal gerade so dunkel, dass man alle Projektionen gut erkennen konnte, aber der Fokus definitiv nicht auf den Musikern lag, und trotzdem gab es viel Scheinwerfer-Einsatz vorne. Und genau da lag die Krux.
Problematisch war hier nämlich vor allem, dass das Gefühl aufkam, nicht das volle Potential des 360°-Projektors genutzt zu haben. Es mag spitzfindig klingen: Aber in einer Show, in der man sich als Besucher im Sessel zurücklehnt und die Kuppelfläche betrachtet, reißt es eben etwas heraus, wenn es den Wechsel zum rechteckigen Bild gibt (und auch wenn es kleinkariert klingt: leider war der Apple-Taskleistenbalken doch recht störend, auch wenn er mitunter bei hellerem Licht im Background verschwand). Die Show wollte dadurch weniger kohärent wirken, weniger abgestimmt auf das, was es sein wollte: Eine Planetariums-Show. Nicht, dass es zwangsweise nur visuelle Effekte mit Weltraum-Thematik und Sternenhimmel hätte geben müssen - und man muss schon hervorheben, wie on point Damnation Defaced zu ihren eigenen Musikvideos live performten, dass den Encore-Song mal ausgenommen das Konzert einen perfekt orchestrierten Anstrich bekam. Nur, dass man eben in Frage stellen darf, ob es wirklich notwendig war, mitunter den Kreisgang um den Projektor abzuwandern und im Dunklen so aufzutreten wie sonst auf regulärer Bühne, während oben das zugehörige Musikvideo lief, welches aber gleichsam durch den Scheinwerfer- und Nebeleinsatz wieder schlecht zur Geltung kam? In der zweiten Konzerthälfte wollte das Zusammenspiel zwischen planetariumseigenem Projektor, Scheinwerfer-Einsatz auf der kleinen Stage und den mitgebrachten Videos besser gelingen - und trotzdem konnte die Show auf optischer Ebene nicht so in den Bann ziehen und lud weniger zum "Sich darin Verlieren" ein, als es bei Hallig der Fall war.
Und dennoch: Stücke wie "The Hunter And The Vermin" oder "Goddess of Machines" sind eine gehörige Live-Wucht und sowas hat man -zumindest im Bochumer Planetarium- gewiss noch nicht erlebt. Auch zwei Cover-Stücke präsentierten Damnation Defaced ihrem Publikum - wo ein zünftiges "Wolverine Blues"-Cover noch ordentlich beeindrucken konnte und man mit Entombed-Worshipping beim Death-hungrigen Volk immer punkten kann, möchten wir aber über die Death Metal-Variante von Rammsteins "Asche zu Asche" ungerne ein Wort verlieren.
Während Hallig auf zwei herausragende Alben zurückblicken und -wie man Social Media entnehmen kann- auch ein neues Album in der Pipeline haben, lag bisher der Fokus bei ihren Live-Shows auf Stücken des zweiten Albums "A Distant Reflection Of The Void", erschienen bei Talheim Records (u.a. Grabak, Happy Days, Psychonaut4). Mit z.B. "Superlunary Passage" durften Fans der Band aber gewiss auch neue Songs im Repertoire der Bochumer erwarten. Rein konzeptionell war der Gig von 2019 schon alleine deshalb so interessant, weil -wie auch schon oben erwähnt- der Mittelpunkt von den Musiker vorne zur Show an der Decke verschoben wurde und die Musiker fast komplett gehüllt in Dunkelheit auftraten. Die teils surreale, teils von astronomischen Phänomenen und Bildern aus unseren Sonnensystem durchzogene Show war auch künstlerisch hochinteressant - damals blendeten Bilder von tanzenden Galaxien im Zeitraffer einfach mal so in Bilder aus unserer Tiefsee über und blieben dabei oft so farblich verfremdet, dass man sich unweigerlich an Szenen aus dem letzten Viertel von Stanley Kubricks "2001: Odyssee im Weltraum" erinnert fühlen musste.
Diesmal muss man zur visuellen Untermalung sagen, dass weniger auf Bombast gesetzt wurde, als noch 2019: Das, was sich über den Köpfen der Kuppelbesucher abspielte, war zaghafter, minimalistischer, zumindest in der 1. Show-Hälfte. Gab es bei Damnation Defaced teils psychedelische Farbspiele und kaleidoskopartig-soghaftes Chaos, baute sich die Show bei Hallig -sogar mit vielen nahezu komplett in Dunkelheit gehaltenen Momenten- erst nach und nach auf: Mal befand man sich auf außerirdischen Welten, mal gab es künstlerische Darstellungen von kollidierenden Sternen, schwarzen Löchern oder einen Reigen von Sternbildern, die über die Leinwand tanzten. Da die Musiker von Hallig ohne Scheinwerfer und ohne viel Bewegung auf ihrem Podest vorne blieben und eher im Dunklen agierten, blieb die Aufmerksamkeit wirklich einzig und allein auf der Show. Eine Performance in absoluter Dunkelheit ist laut den Gitarristen A. und F. auch nicht ganz so einfach - insofern muss man hier schon seinen Hut ziehen.
Viele Klassiker-Stücke gab es, wenn man sie bereits so nennen darf: Das Debüt-Album "13 Keys to Lunacy" wurde mit u.a. "If I Am The Storm" bedacht (da wie schon 2019 auch der zweite Sänger L. am Start war, gab es auch die Klargesangs-Passagen, die die Songs ordentlich veredeln) - aber auch Songs wie "Neues Land", "Trümmer" oder "A Dawn Beneath Titanium Clouds" wussten zu überzeugen. Stark auch ein neuer Song, der auf einem bald erscheinenden Split-Release mit Friisk zu finden sein wird: "Of Stone And Dust" lässt auf starkes, neues Material der Bochumer bauen, das uns bevorsteht - ebenfalls ein Song, der mit langen Instrumental-Passagen besticht und sich damit perfekt in die Show einfügte.
Hallig liefern live eine breitgefächerte, vielschichtige Odyssee, die mit einiger Power eine Gratwanderung versucht zwischen einer fragilen, aberwitzigen Demontage des menschlichen Geists und einem aggressiven, energischen Aufruf, sich als Individuum nicht unterkriegen zu lassen. Beschaut man sich die hermetischen Lyrics, dann kann man auch immer wieder betonen, dass hier ein im Kern sehr emotionales und vielleicht sogar persönliches Manifest in Stein geschlagen wurde, detailverliebt und definitiv hörens- und erlebenswert. Vor allem schaffen Hallig das, ohne ihre Härte einzubüßen oder in neumodische Post Metal-Schären abzudriften.
Das Planetarium selbst warb so: "Dass ein Metal-Konzert auch im Sitzen funktioniert, beweisen diese einmaligen Erlebnisse. Ob düstere Visualisierungen mit nordischer Atmosphäre und epischen Klanglandschaften bei Hallig oder Weltraumflüge, futuristische Projektionen bei Damnation Defaced, beide Bands bieten ein intensives musikalisches Ereignis. Die Erfahrung, Metal unter einer Kuppel zu erleben, beansprucht alle Sinne. Nach ausverkauften Veranstaltungen in den letzten Jahren bietet sich nun wieder die Gelegenheit, zwei unvergleichliche Abende zu erleben, die musikalisch und inhaltlich jeweils in ihrem ganz eigenen Stil mitreißen."
Wir können uns nur anschließen, dass ein Event dieser Art ein ganz anderes Level in Sachen Live-Musik erreicht - nicht, dass es nicht auf Konzerten in normalen Live-Stätten nicht auch die Möglichkeit gäbe, mit Beamern die Musik untermalende und begleitende Videos an die Leinwand zu werfen. Gerade Bands wie Amenra wissen das ja auch zu nutzen - und beim Prophecy Fest gehört die Leinwand im Background zum Auftritt jeder Band in der Balver Höhle. Und trotzdem schafft es nur der Projektor im Planetarium, dass der primäre Teil über den Köpfen liegt und die Musiker in den Hintergrund treten und eher die sekundäre Rolle spielen.
Etwa zur Hälfte der Shows machten die Bands, so, wie es eher in Theatern und Opernhäusern üblich ist, eine kleine Pause - diese konnten die Bands auch nutzen, um ihre Shows konzeptionell in zwei Hälften zu teilen. Bei Hallig wurde die Pause genutzt, um am Schlagzeug einen Personalwechsel durchzuführen (in der 1. Hälfte war Attic-, Paria- und Zwielicht-Drummer JP am Start, in der 2. der neue Drummer MS), bei Damnation Defaced wurde die zweite Hälfte mehr auf neue Songs gesetzt.
Hallig / Planetarium Bochum (Foto: privat)