Nach 500km Anfahrt und dem Checkin ins Black Metal-Hotel „Conk'Agress'Centurion“ war der halbe Kilometer bis zur Sputnikhalle nur noch ein kleiner Rösselsprung. Die Wintermelodei, gestern sogar kurz totgeglaubt, durfte stattfinden - auch unser Team war am Start, um über das womöglich letzte Event 2021 zu berichten.
Die Nachricht der Absage des Openers Totenwache wegen nicht näher benannter Krankheit war zu diesem Zeitpunkt bereits verdaut und gab dem Team noch ein bisschen Zeit zur Akklimatisierung, nachdem die Prozedur zur Eindämmung der hustenden Pest abgeschlossen war. Wer die Sputnikhalle in Münster noch nicht kennt, kann sich eine x-beliebige etwas rustikale Location in einer mittelgroßen deutschen Stadt vorstellen. Diese schmiegt sich wie eine räudige Eiterbeule in ein Industriegebiet, das an einem beschaulichen Fluss (der Aa) einen gewissen Hafencharme nicht entbehrt.
Kurz, der perfekte Ort, ein Black Metal-Event wie die Wintermelodei abzufeuern! Erste Combo des Tages sollte nun Wandar sein, die zuletzt mit „Landlose Ufer“ den inzwischen dritten Langspieler in die Welt warfen und zuletzt im Bunker Rostock (unter anderem mit den auch anwesenden Halphas) auftraten. Diese sollten auch hier die nächste Combo sein. Man merkte von Sekunde 1 den aufgestauten Hunger der Menge, die wohl noch immer unter dem Schock der Beinahe-Absage und dem angekündigten Lockdown standen, und die jetzt dem neuen Opener ihren Tribut zollten.
Die Halle, abwechselnd in rotes und blaues Licht getaucht, war bis auf den letzten Mann gefüllt. Die Playlist von Wandar, die insgesamt 6 Songs umfasste, bestand ausschließlich aus Songs der letzten beiden Alben „Landlose Ufer“ und „Zyklus“. Vor allem der Mix aus schnellen, treibenden Songs, die oft genug durch sphärische Einlagen aufgelockert werden, machte Wandar zum perfekten Einstand der Wintermelodei. Getrieben durch die harten Blastbeats (Totz an den Drums gab hier definitiv die Marschrichtung vor) und den mal growlenden und mal screamenden Vocals (Skoll von Kallenheim) war neben einer ausladenden Riffarbeit das Erfolgsmodell, auch wenn die Drums leider stellenweise nicht gut abgemischt beim Publikum ankamen.
Halphas boten dem Publikum mit ihrem kompromisslosen Abbruch-Black Metal keine Sekunde Pause und brannten ihr ganz eigenes Feuerwerk ab. Bestechend an dem Hessen-Fünfer mit grimmigem Corpsepaint unter Dirigent des Chaos und Fronter Legatus ist schon immer die zur Schau gestellte Spielfreude und fast greifbare Bühnenpräsenz, die sich in den letzten Jahren nur noch verfeinert hat. Vom Bass bis zu den Gitarren über die Drums gibt es niemanden der Band, der sich hier zurückgenommen oder geschont hätte.
Seit wir die Combo das erste Mal auf der Zeremonie der Schatten anno 2016 begutachten konnten, hat sich einiges getan und auch Covid konnte den Durchmarsch nicht aufhalten. Ihr letztes Werk "The Infernal Path Into Oblivion" von 2019 wurde damals pünktlich zum De Mortem Et Diabolum präsentiert, welches dieses Jahr erneut aufgrund der Corona-Auflagen abgesagt werden musste. In der Sputnikhalle klangen Halphas aber noch epochaler - vom eröffnenden "Through The Forest", noch von ihrem Debüt "Dawn of a Crimson Empire", über das furiose "Into Eternity We Ride" bis hin zum Finale mit "Empire". Bestechend und stimmig sind dabei auch stets Legatus' beschwörende Einleitungen in die Stücke - gerne immer wieder Halphas!
Mit Groza steht unbestritten eine kontrovers diskutierte Kombo auf der Bühne. Ein Blick auf Metal Archives reicht, um gerade das Feedback zur ersten Platte der Band, "Unified In Void", als -sagen wir mal- leicht negativ wahrzunehmen. Man liest und hört hier schnell "Mgła -Klon" und ähnliches und auch hier gibt es bei dem zweiten Output "The Redemptive End" nur schwarz und weiß. Zeit für ein Live-Erlebnis, um sich ein Bild zu machen.
Schon bei ihrer gemeinsamen Tour mit Karg und The Spirit Anfang 2019 fielen Groza als offensichtliche Fans der polnischen Band auf. Und daraus wird ja auch kein Hehl gemacht, immerhin ist der Bandname ja auch ein slawischer Begriff, der bereits für ein Album von Mgła genutzt wurde.
Lasst uns die Frage in den Raum werfen: Wann fängt ein Abkupfern und Imitieren an den schmalen Grat zwischen Huldigung und Weiterdenken zu verlassen und verdient negative Kritik?
Wenn dein Publikum plötzlich denkt, gleich würde ein "Exercises in Futility VI" gezockt - ist das ein Ritterschlag oder einer ins Gesicht?
Wie viel Innovation bringst du ein? Worin besteht deine Eigenständigkeit?
Diese Groza in Gänze abzusprechen würde ihnen keinesfalls gerecht - zumal ihr neues Werk auch das Prädikat ein simples Nachmachen zu sein schon alleine wegen der ruhigen Passagen und des starken Songwritings nicht mehr verdient hat, sonst müsste man auch The Spirit verachten, ebenfalls bei AOP Records, die ganz klare Dissection-Verehrer sind und das auch nicht verheimlichen, und ihnen jegliche Eigenheit absprechen. Die heutige Performance, die aus fast dem gesamten neuen Album und dem Track "Ouroboros" bestand, war atmosphärisch dicht, exzellent abgemischt, ließ das Publikum teilweise aber merklich kühler wirken, obwohl die Reihen bis zum Schluss nochmal stärker gefüllt waren als bei den Vorgängerbands. Groza haben ihre Fans - doch es bleibt ein fader Nachgeschmack zurück.
Die Wintermelodei ist seit jeher auch für ihren Genremix und ihre Vielfalt bekannt - und so waren Sun Worship der erste optische und stilistische Ausreißer. Das Duo aus Berlin hatte wohl einigen Stimmen zufolge bereits in Köln kein Glück mit der Abmischung und so stand auch dieser Samstag nicht im Zeichen der Band. Teilweise wurden aus den ersten Reihen einzelne Dislike-Bekundungen in Form von Mittelfingern wahrgenommen, die aber innerhalb kürzester Zeit von den Fans der Combo zurückgewiesen wurden. Ob dies auf den Sound oder den Background der Band zurückzuführen war, muss im Dunkeln bleiben.
Der Sound jedenfalls war im besten Fall als matschig zu bezeichnen, sodass wir teilweise nicht in der Lage waren einzelne Songs wiederzuerkennen. Dies ist umso tragischer, da in den Studioalben, allen voran im aktuellen Output "Emanations Of Desolation", die Macht der Combo beeindruckend zur Schau gestellt wird. Man muss dem Duo dennoch Respekt zollen, mit welchem Durchhaltevermögen und Stringenz der Gig durchgezogen und performt wurde - und was zwei Musiker alleine auf die Bühne stellen können, die an guten Tagen und mit guter Abmischung einer Band wie Mantar mindestens ebenbürtig sein können.
Die Belgier von Hemelbestormer waren bis zum Auftritt von Halphas noch verschollen und auch per Telefon nicht zu erreichen, was für ein ungutes Gefühl hinter der Kulissen sorgte. Der Post-BM Vierer traf aber noch rechtzeitig ein und konnte nach einer längeren Umbaupause starten.
Für einige der Kollegen durchaus kontrovers, überwog im Team aber die absolute Begeisterung, die auch vom Publikum geteilt wurde. Hemelbestormer kommen ohne Gesang aus und liefern einen wütenden Mix aus Doom, Post und Black, der mit einer unterschwelligen Aggression, Energie und Hingabe zelebriert wurde, die einen weiteren Höhepunkt der Wintermelodei markierte. Wer sich umdrehte, um die Stimmung abzugleichen, fand mehrere Dutzend vollkommen entrückte Menschen, die mit geschlossenen Augen zum Takt der Musik ihre Köpfe bewegten. Die Setlist war eine Reise durch die letzten Jahre und beinhaltete unter anderem "Void", "Nebula" und "Flood", die heute wohl zu den für den Hörer anspruchsvollsten Tracks gehörten.
Hemelbestormers jüngstes Werk "Ring of Blue Light" wurde dabei im Besonderen bedacht - und was die hypnotisierende Show der Belgier auf der Bühne noch auszeichnet, ist die Tatsache, wie die spärliche Beleuchtung den Fokus von der Band weglenkt und letzte Leuchtbojen in der Dunkelheit lediglich die Symbollampen auf der Bühne darstellen. Ein großer Genre-Ausreißer, der es aber jedes Mal vermag seinen soghaften Charakter zu entfalten!
Eïs, die erst sehr spät ins Programm der diesjährigen Wintermelodei traten, um Helrunar zu vertreten, hätten ebenfalls beinahe ihren Gig Corona-bedingt wieder absagen müssen, da Frontmann Alboin mit den Nachwehen seiner Covid-Erkrankung zu kämpfen hatte. Um nicht absagen zu müssen, wurde knappe zwei Wochen vor dem Abend Stef von Jörmungand als Vocal-Beistand angekündigt. Alboin selbst entfiel aber zum Glück nicht vollends und bekleidete wie gewohnt das Bass-Amt. Fans und Freunde der Band mussten aber nicht ohne Vocals von Alboin auskommen, überließ der Support-Sänger nämlich für die älteren Klassiker "Kainsmal" und "Spätsommerabende" diesem das Mikro.
Stef, der neben der Arbeit in seiner eigenen Band auch schon einmal Finsterforst bei ihrer Tour am Mikro unterstützt hat, hat dabei einen soliden Job gemacht - nicht nur konnte er die Eïs-Stücke in ihrer emotionalen Schlagkraft würdig präsentieren, sondern klang gerade bei "Durch Lichtlose Tiefen", dem einzigen Stück des Albums "Galeere", das an diesem Abend gespielt wurde, auch mehr nach dem damaligen Sänger Cypher D. Rex (mittlerweile u.a. mit Vyre unterwegs) und somit näher an der Studioversion des Songs.
Insgesamt gab es einen guten Rundumschlag der Diskographie von Eïs, wurden doch von jedem Release der Band ein Stück gespielt - insbesondere "Stillstand und Heimkehr" von der jüngsten EP beeindruckte extrem und wurde bisher selten live zur Schau gestellt. Während des Eïs-Gigs holte Alboin auch Kopf und Organisator der Wintermelodei, Simon Wiedenhöft, auf die Bühne, um seinen wohlverdienten Applaus abzuholen.
Zum Finale präsentierte man den wohl auf lyrischer Ebene stärksten und tiefschürfendsten Song "Mann aus Stein", dessen treibende Art seit Veröffentlichung der "Wetterkreuz"-LP den perfekten, furiosen Abschluss eines jeden Konzerts der Truppe bildet.
Wer Jörmungand vor ihrer Auflösung noch einmal sehen möchte, wird Anno 2022 (hoffentlich) beim Mead & Greed Festival die Gelegenheit bekommen. Eïs haben ihrerseits schon auf dem diesjährigen Prophecy Fest angekündigt, die Phase des Winterschlafs nun hinter sich zu lassen und offiziell zurück zu sein - man darf sich gewiss in nicht allzu ferner Zukunft auf neues Material freuen.
Das große Finale der diesjährigen Wintermelodei bildeten die Ukrainer White Ward. Was den atmosphärischen Black Metal-Sound der jungen Band an dieser Stelle extrem besonders macht, ist ein in diesem Genre seltenes Gimmick: Der Einsatz eines Saxophons, durch das dem Werken der Band ein eindrucksvolles Jazz-Element beigefügt wird. Mal äußert sich dieses in ruhigen, beinahe gänzlich von Metal-Gefilden entfernten, gefühlvollen und beinahe urigen Passagen - mal bettet sich dieses hervorragend in die Black Metal-Fluten von White Ward ein und will einfach perfekt passen.
Bereits 2012 gegründet erlangte die Band außerhalb ihrer Heimat erst richtig mit ihrem Debüt "Futility Report" von 2017 und ihrem Einstand beim französischen Label Debemur Morti Productions Aufmerksamkeit. Auch der Nachfolger von 2019, "Love Exchange Failure", hatte der Band nur Lob eingebracht - und so wurden einige Stücke der zwei Alben präsentiert, z.B. "Black Silent Piers" und den Titelsong des 2019er Werks; auch den titelgebenden Song von der brandneuen EP "Debemur Morti" gab es auf die Ohren, der wohl als bestes Exempel der Bandbreite von White Ward fungiert - in unbändigem Reißfluss beginnend legt das Stück immer mehr -wie als ob es sich entschalen würde- alle Facetten vor sich hin und wird ruhiger und ruhiger, bis fast nur noch das Saxophon zu hören ist und später auch die Vocals höher werden, nur um dann wieder volle Fahrt aufzunehmen. Auch ihr bisher ältestes Stück "When Gift Becomes Damnation" wurde spendiert. Und was soll man anderes sagen, als dass man die Spielfreude der Akteure auf der Bühne, die zwar nicht ihr erstes Konzert in Deutschland gaben, aber bisher noch nicht oft außerhalb des europäischen Ostens auftraten, deutlich spürte.
Als finaler Act des Abends stand White Ward auch noch genug Zeit für zwei recht lange Zugaben zur Verfügung - diese folgten mir "Stillborn Knowledge" - und im Anschluss daran -da die Band nach wie vor überwältigt von dem Münsteraner Publikum war- erklärte man, dass sie gar keine weiteren Stücke geprobt hätten, um diese ad hoc zum Besten zu geben, also spielten sie kurzerhand einfach noch einmal "When Gift Becomes Damnation". Und man hat deutlich gemerkt, dass es entweder Besucher gab, die bereits wussten, was für ein grandioses Finale der Abend in petto hatte, oder solche, die nicht wussten, wie ihnen geschah. Definitiv eine Band, die man auf dem Schirm behalten muss und die schon alleine wegen des ungewöhnlichen Einsatzes der Jazz-Charakteristika aus der Masse herausstechen.