Wie ihr wisst, geht es in unseren Interviews selten um Szenegrößen, berühmte Bands oder Sternchen - sondern eher um die graue Eminenz hinter den Kulissen. Wer zieht die Strippen, wer erledigt die „Drecksarbeit“ und wem sollte der eigentliche Dank für Infrastruktur, kreative Impulse und/oder Energie hinter Events gelten? Mit Irsin Ernst haben wir dieses Mal jemanden für ein paar Sätze gewinnen können, der von allem ein bisschen ist. Als „Legionär“ der Kältetod Legion, Mischer und Tontechniker von „Irsins Sound“, sowie Labelchef hinter Lycaner Records, hat er mehr Eisen im Feuer als die Schmieden Isengards. Zeit für eine Audienz!
UG: Servus Irsin!
Irsin: Moin!
UG: Wir haben schon ordentlich vorgelegt und beachtliches zu Tage gefördert, du magst vielleicht ergänzen oder sogar korrigieren?
Irsin: Ja, man könnte noch Sachen ergänzen, das würde aber jetzt glaube ich aber den Rahmen sprengen. Zu korrigieren gäbe es nur, dass sich Lycaner Records in den letzten Jahren von einem Label mehr zu einem Dienstleistungsunternehmen rund um die Musik entwickelt hat. Die letzten Releases sind schon eine Weile her. Das kam hauptsächlich nach der Aufgabe meines Plattenladens "Helvete" in Friesack. Nun berate und arbeite ich in dem Bereich teilweise für andere Musiklabels, Veranstalter und Diskothekenbetreiber.
UG: Plattenladen? Helvete? Jetzt musst du wohl etwas tiefer rein! *lacht*
Irsin: Ich habe 2004 meine ersten Konzerte organisiert. Da es nicht immer möglich war gute bezahlbare Techniker zu finden, hat man sich selbst an die Materie rangetastet und von den überschaubaren Gewinnen mehr und mehr Technik zugelegt. Irgendwann kamen dann ein paar Veranstalter aus einem anderen Club und fragten, ob ich nicht bei ihnen die Konzerte ausstatten kann. So kam es, dass ich mich mit 18 selbstständig machte und im Gewerbeamt nicht nur jene Sachen eintragen ließ, die ich zu dem Zeitpunkt ausübte, sondern auch noch vorhabe (Merchandiseproduktion, Musiklabel, Tonstudio...). Das Lycaner Records-Tonstudio, in welchem ich die Labelbands kostenlos aufnehmen wollte, hatte anfangs keinen festen Sitz. In Friesack wurde mir dann ein Laden zur Verfügung gestellt, in dem ich nicht nur mein Lager für PA-Technik hatte, sondern auch Schallplatten, CDs, Kassetten, Bekleidung, Met usw. anbot, die sonst nur auf meinen Ständen bei Konzerten und Festivals erhältlich waren. Da ich in dem Gebäude wohnte und arbeitete und es einen verkramten düsteren Charme hatte, nannte der Labelinhaber von Wolfsgrimm Records es immer "im kleinen Helvete".
UG: Das klingt schon verdammt untergründig, aber wie es schon antönte, den Laden an sich gibt es nicht mehr? Was ist passiert?
Irsin: Ich bin mit 19 Jahren Vater geworden und habe meine Prioritäten neu gesetzt. Das Unternehmen hatte viele verschiedene Zweige. Als dann nach Jahren alle begannen irgendwie zu wachsen, musste man sich irgendwann spezialisieren. Hinzu kam eine private Neuorientierung mit vielen anhängenden Gerichtsverfahren. Mir fehlte die Zeit den Laden weiter zu verfolgen und neu zu eröffnen.
UG: Das macht natürlich Sinn. Wo hast du heute deinen Fokus?
Irsin: Ich denke meinen Schwerpunkt im Ausstatten und Abmischen von Konzerten und Festivals gefunden zu haben, sowie in der Studioproduktion von CDs, Schallplatten und Kassetten. Durch meinen Einstieg 2007 in die Kältetod Legion fand ich dann die zuverlässigen Gleichgesinnten, die mit dem selben Herzblut an die Projekte rangehen wie ich, was das Organisieren und Durchführen von Veranstaltungen angeht. Auch wenn es für sie nicht immer leicht ist mit meinem Perfektionismus umzugehen.
UG: Naja, einer muss auf die Details achten, ich denke mit 'nem gemischten Team + Herzblut + Wahnsinn kann man Einiges reißen. Wir haben euch z.B. auf dem UTBS in Aktion gesehen und da hat es schon sehr brüderlich und harmonisch ausgesehen. Magst du uns noch etwas mehr über die Kältetod Legion erzählen, man nimmt euch zumindest als Veranstalter in Ostdeutschland wahr?
Irsin: So ist es! Es liegt daran, dass 2001 die Kältetod Legion in Fehrbellin (Brandenburg) gegründet wurde. Damals wurde ein Internetforum eingerichtet, in dem Mitglieder aus ganz Deutschland und Österreich vertreten waren. Man diskutierte über Platten, Konzerte, Festivals oder aktuelle Musikprojekte. Man half sich gegenseitig bei der Produktion durch Kritiken, technischen Support, Designs, Konzertvermittlungen oder auch gar Veröffentlichungen durch verschiedene vertretende Labels. Irgendwann schlief das Forum jedoch ein. Zu den Treffen kamen nur noch die selben Leute und man beschloss einen anderen Weg zu gehen, der nicht rein digitaler Natur ist. Die Gruppe wurde auf den aktiven Kern zusammengeschrumpft und für zukünftige Mitglieder eine Probezeit eingeführt. Neue werdende Legionäre mussten sich erstmals beweisen. Die Mitgliederstärke war nun um ein Vielfaches geringer, jedoch hatte sie eine neue größere Durchschlagskraft. Ideen und Projekte wurden schneller bzw. überhaupt realisiert und es wurde nicht nur hinter einem Bildschirm gesabbelt und geschrieben, sondern man hat Taten sprechen lassen. Die Mitglieder jetzt verbindet eine tiefe Freundschaft und man kann sich als Zenturio (sowas wie der Klassensprecher dieses Kegelvereins) auf jeden Einzelnen verlassen, sie sich auf mich bzw. untereinander. Wir haben auch Legionäre im Westen Deutschlands, die wir regelmäßig sehen, jedoch ist der große Teil im Osten ansässig. Darum sieht und hört man hier auch mehr von uns.
UG: Das klingt auf jeden Fall ziemlich elitär und sehr hingebungsvoll - wie viele Events "wuppt" ihr denn so im Jahr? Und supportet ihr auch Events, die ihr selber nicht veranstaltet oder habt ihr Stammveranstaltungen wie besagtes Under The Black Sun Festival?
Irsin: Klingt vielleicht so elitär, ist es aber eigentlich gar nicht. Man bekommt oft die Frage gestellt: "Seid ihr Burzum oder Mayhem?" Wir sind eher Abbath oder Fenriz und schmeißen gern geile untrve Partys! Wir machen einfach das, worauf wir Lust haben und sind selbst unsere besten Gäste. Das Under The Black Sun ist ja eher ungeplant nach Friesack gekommen. Durch die Verlegung an den neuen Veranstaltungsort boten wir dem Veranstalter Triple Six Concerts unsere Hilfe als Team an. Es war nur wenig Vorbereitungszeit und Jörg brauchte eine funktionierende, eingespielte Truppe. Das klappte bisher immer sehr gut! Wir konnten vor Ort mehrere Bereiche autark abdecken. Ähnlich war es auch beim De Mortem Et Diabolum 2017. Das Konzert wurde aus dem Nuke/K17 am Freitag in die Columbiahalle verlegt und Samstag ins Columbiatheater. Dort übernahmen wir auch die Technik und die Verpflegung der Bands, 2018 dann beide Tage im Columbiatheater das Catering und Bandverpflegung. Man kann es sich kaum vorstellen, aber das war meine erste Backstageparty, da ich sonst auf und vor der Bühne aktiv bin. 2019 zog das DMED nach Brandenburg ins Dörfchen Paulinenaue. Wieder waren wir am Start mit Bühne, PA, Licht und Catering. Darüber hinaus fahren schon seit Jahren einige unserer Legionäre als Crew zum Dark Troll Festival, Barther Metal Open Air oder zu den Frostfeuernächten. Wir unterstützen gern auch andere Veranstalter, solange gewisse Bedingungen stimmen. Wir machen es aus Spaß und weil wir Freude an der Musik und den Leuten haben. Das muss das Festival auch widerspiegeln! Jeder entscheidet aus seiner intrinsischen Motivation selbst, wann und wo er seinen Teil beitragen möchte. Da gibt es keine Verpflichtungen. Unsere eigenen Veranstaltungen variieren in der Anzahl. Fest stehen jedes Jahr zwei Termine: Im Februar und im September. Das ist unser "Stahlbeton" in einem alten Bombenbunker in Rostock. Zusätzlich kommen je nach Anfrage (und wenn wir Bock haben) noch einzelne Konzerte hinzu. So machten gerade bei uns im letzten Jahr Mantar, Panopticon, Waldgeflüster, Deströyer666 und Anhang einen Zwischenstopp auf ihren Touren. Am 11.01.2020 haben wir noch Caronte, Schammasch und Enthroned im Zwischenbau. Später (04.04.2020) sind Kampfar und Taake bei uns zu Gast. Es wird nie langweilig.
UG: Oha... das klingt allerdings wie etwas, was praktisch jeder Veranstalter brauchen könnte. Kaum vorstellbar, dass das jemand unentgeltlich macht? Und welche Rahmenbedingungen müssen gegeben sein, um mit euch ins Gespräch zu gehen?
Irsin: Wie gesagt: Jeder entscheidet es selbst ob man bei der jeweiligen Veranstaltung mitwirken will oder nicht. Jede Person setzt dann auch ihre eigenen Prioritäten und hat eigene Präferenzen. Meist geht es aber um den Umgang miteinander, das Lineup und die verschiedenen Rahmenbedingungen. Die Kältetod Legion ist nicht in dem Sinne buchbar für Veranstalter. Wir suchen uns aus, wem wir Hilfe anbieten. Meist kommt es durch eigene Interessen, weil man als Gast sich irgendwie mit der Veranstaltung verbunden fühlt. Da es beispielsweise mein Job ist, unterscheide ich an den Tätigkeiten die ich mache. Wenn ich im Backstage mit Pinatz und Luna Bands abfülle, ist es was Anderes, als eine komplette technische Produktion über 3 Tage für ein Festival zu organisieren, durchzuführen und 25 Bands hintereinander abzumischen. Das geht dann schon nur durch den finanziellen Aufwand der Beschaffung, Reparatur und Wartung der Technik über das "Hobby" hinaus. Trotzdem liebe ich diese Arbeit und nehme nicht alles an, nur weil man irgendwo mehr Geld verdienen könnte. Mir sind kleine Clubs, in denen der Schweiß von der Decke tropft oder kleine gemütliche Festivals viel lieber als ein Stadtfest, bei dem ich Eurodancetruppen mixen muss. Eine Zeit lang brachte ich meinen Sohn und mich so durch mein Studium. Jetzt werden nur Aufträge angenommen, die auch fetzen! Anfragen kann dennoch jeder stellen über den Kontaktbutton der Facebookseite der Kältetod Legion.
UG: Genau unser Geschmack - aber natürlich ist es nochmal ein anderes Level, wenn man auch wirtschaftlich dranhängt. Was ist dir beim Sound wichtig?
Irsin: Authentizität! Ich mache keine große Effekthascherei mit tausenden Plugins. Ich versuche meist die Band, so wie sie ist, auf die PA oder CD zu bringen. Ich mag am liebsten echte Röhrenverstärker statt Kemperamps. Ein Trend, den ich nicht nachvollziehen kann, ist alles zu überdigitalisieren. Ansonsten kann man sagen, dass jeder Tontechniker, genauso wie jeder Künstler, seinen eigenen Stil hat. Es gibt da selten einen Guten oder Schlechten. Meist sind sie einfach nur anders. Dem Einen gefällt es, dem Anderen halt nicht. Ich für meinen Teil versuche Defizite nicht mit Lautstärke auszugleichen. Laut ist nicht immer besser. Wenn die Gäste Ohrenstöpsel brauchen oder mit Klingeln und Piepen aus dem Konzert kommen, hast du als Tonarsch was falsch gemacht. Ich habe da meinen Weg anscheinend gefunden, gerade wenn Gäste von Berlin nach Rostock fahren, um sich eine Band anzusehen, die einen Tag vorher in ihrer Heimat spielten, da der Sound in Rostock besser sei. Gates, Kompressoren, EQs und Hall. Mehr bedarf es in einer guten Mischung nicht, wenn ordentliche Mikrofone und eine gute PA vorhanden sind. Ich habe in der Vergangenheit nicht nur Metalproduktionen gemacht. Auch viele Rock-, Country- oder Blues-Bands oder ganze Orchester mit über 70 Personen. Man schaut mich nur oft dort komisch an, wenn ich sage, dass der Extrem-Metal die Königsklasse der Tontechnik ist. Wenn du bei mega schnellen Beats, großen Schallpegeln und Diffusität vor der Bühne einen klaren definierten Klang hinbekommst, bei dem jeder Snareschlag rauszuhören ist, kannst du eigentlich auch jede andere Musik abmischen.
UG: Also kann man dich über Irsins Sound auch für Festivals/Events buchen?
Irsin: Richtig. Einfach eine Mail an irsin@irsins-sound.de oder über Facebook eine Nachricht schicken. Bei mir zählt: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst!“ Dabei ist nicht die Größe der Veranstaltung wichtig, sondern wann der Termin gebucht wurde. Ähnlich ist es mit Studioproduktionen. Dort muss man jedoch etwas Zeit mitbringen, weil ich gerade viele Projekte parallel bearbeite. Gerade habe ich das Master für das kommende Album von Uprising fertiggestellt, welches wohl zum Dark Troll Festival und dem einzigen Uprising-Konzert im Jahr 2020 erscheinen wird. Nun sitze ich an den letzten Zügen des Erstlingswerks von Iron Kindl Pest. Diese kommt im März unter die Leute. Vorher kann man aber schon am 25.01.2019 im Berliner Blackland reinhören. Währenddessen mastere ich gerade die Death Metal-Combo von Death Infusion und mische eine Blues/Country/Soul-Band. Studiotermine für Aufnahmen sind oft schwer unter einen Hut zu bringen mit Konzerten und Festivals. Ich hätte selbst nicht gedacht, dass das Studio so sehr in 2018/2019 boomen würde. Deshalb verlegen einige Musiker ihre Aufnahmen in andere Studios und lassen dann Mix und Master bei mir erstellen. Dafür werden im Jahr 2020 wieder tausende Euro investiert. Was ich verdiene, fließt im größten Teil wieder zurück in den Bereich aus dem das Geld kommt. Bands, die schon vorher Alben bei mir aufgenommen und nachbearbeiten ließen, bleiben trotz der notwendigen Preiserhöhungen durch Neuanschaffungen auf dem Einstiegspreis. Das habe ich mir vor fast 15 Jahren so geschworen und wird auch so durchgezogen. Immerhin sind es genau diese Truppen, die den Erfolg von Irsins Sound erst möglich gemacht haben.
UG: Magst du mal die nächsten fünf Jahre skizzieren, was sind deine persönlichen Ziele?
Irsin: Vor drei Monaten hätte ich wahrscheinlich geantwortet, dass ich mich in einem Haus am Waldrand mit einer blauen Jeanslatzhose und Strohhut sehe, sitzend in einem Schaukelstuhl und um mich herum ein Rudel Corgiewelpen, die meine Moonshinerwhiskydestille bewachen… Jetzt sieht das alles schon wieder anders aus. Die realistische Variante wäre wahrscheinlich, irgendwo mit meinem (dann erwachsenen) Sohn und meinem Vater mit Motorrädern über die Straßen zu knattern, Festivals und Konzerte zu besuchen bzw. auszustatten und eine tolle Zeit mit meinen Freunden zu verbringen. Eigentlich so wie jetzt. Ich lebe derzeit meinen Traum. Ich habe alles, was ich brauche und hoffe, es ist in 5 Jahren auch noch so. Na gut… Eine Frau, die es an meiner Seite aushält, wäre vielleicht auch nicht schlecht.
UG: Und zum Abschluss unser Klassiker: Wenn du jetzt die Chance hättest dein jüngeres „Ich“ kurz vor der Eröffnung des "Helvete" zu treffen, welchen Tipp würdest du dir mitgeben?
Irsin: Da wir alle das Zeitparadoxon -spätestens von Rick und Morty, Futurama und Family Guy- kennen, würde ich wahrscheinlich keine relevanten Tipps geben. Jeder Schicksalsschlag und jeder Fehler lässt dich lernen und reifen. Ich würde mich höchstens anstarren und sagen: „Greif nicht in die Schüssel mit den Nüssen rein! Da können viele Dinge außer Nüssen drin sein.“
UG: Wir Danken für die Insights - mögen sich die Wege kreuzen!
Irsin: Das wird sich nicht vermeiden lassen! *lacht*
Das Interview führten Irsin Ernst von Irsin Sound/Kältetod Legion und Grave für Undergrounded