Jaja, wir könnens alles nicht mehr hören, aber trotzdem muss diese Lebensbeichte (ein letztes Mal) raus und in die Öffentlichkeit! Ich war nie auf Wacken. Naja okay. Ich war ein Mal „IN“ Wacken. Zwei Wochen VOR dem Volksfest. Das muss 2013 oder 2014 gewesen sein, als ich auf der Durchreise nach Dänemark war und mir dachte, es wäre ein gutes polit-musikalisches Statement:
aufs Innerfield zu pissen und meine Meinung dort zu lassen.Seitdem ist viel passiert. Naja okay. Eigentlich ist nicht viel passiert. Denn schon damals war der Weg, den das Event einschlagen würde schon über eine Dekade klar gesetzt. Wachstum um jeden Preis. Mainstreamisierung um jeden Preis. Im BWL-sprech würde Justus nun sagen: „Wenn die vertikale Kundendiversifikation keine Option ist, müssen wir in die Horizontale und neue Kunden gewinnen!“ Das Angebot ein bisschen breiter machen. Metal für alle. Das und Free Fall Tower, AutoScooter, Schießbude. Ein bisschen Alkohol danebenstellen und Kaffeefahrten aus ganz Deutschland organisieren. Preise anziehen, Bands egal. Fertig ist der (r)Ausverkauf.
Jaja, beruhig Dich und atme hier in die Tüte. Nein, sage nichts bahnbrechend Neues und blase in das gleiche Wikingerplastikhorn, in das jeder Wackenkritiker bläst. Und nein, ich sage auch nicht, dass es nicht auch noch echte Metalbands auf Wacken gibt die (noch) nicht nur wegen der Kohle kommen. Man gibt sich ja weiter irgendwie dem Metal verbunden – sofern man dem NDR und RTL glauben darf und betreibt sogar so etwas wie Nachwuchsförderung. Irgendwie. Dies ändert aber nichts an der Preispolitik des Volksfestes oder daran, dass das Klientel inzwischen wohl nicht mehr bzw. in der Minderheit noch wegen der Musik kommt.
Bis auf wenige Ausnahmen von absoluten Koryphäenbands, die entweder nur für ein Heidengeld überhaupt spielen würden. Oder irgendwelche Kombos, die man mit nem Euro zur Re-Union geprügelt hat. Wenn man sich die Billings über die Jahre anschaut, spielt eigentlich Jahr für Jahr dieselbe generische Grütze, die man sonst für einen Bruchteil des Preises auch woanders zu sehen bzw. zu hören bekommen würde. Plus eben ein paar gescoutete Undergroundkombos, die man für das Heilsversprechen „Ihr spielt auf Wacken“ vor Ort karrt. Dass nun zum X-ten Mal der Ausverkauf stattfindet, ohne dass auch nur eine Band bekannt ist, spricht Bände für das Mindset der Gäste. Im Gespräch mit fellow Metalheads hört man sonst immer: „Ach, das Billing von Undergroundevent X ist dieses Jahr nicht so geil und mir ist die Anfahrt von 300km zu viel“ - oder „Jetzt warten wir erstmal wer auf Y so spielt und kaufen dann zwei Tage vorher die Tickets.“ und versteht dies sofort, weil 25 oder 50 oder 75 Euro inzwischen ja eine absolut überdenkungswürdige Investition bedeutet.
Nicht auf Wacken. Auf Wacken wird inzwischen ein Gefühl für absolut jeden verkauft, der über seinen Geldbeutel stolpert. Das Gefühl, eine vermeintlich harte Metaldrecksau zu sein, die mit anderen harten Metaldrecksäuen für zu teure Tickets, zu teures Bier, zu lange Laufwege für fragwürde Band XY akzeptiert - ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen. Ein Familienfest aus der Hölle, mit Menschen, die der großen Metalfamilie angehören und wo Tante Gertrud vom Votzenhagener Kegelclub mit ihren Damen genauso „Sleeeyer“ schreit, wie Klaus Kampftrinker, der sich halt gern mit seinen Jungs im 8km entfernten Campground „Schmetterling“ die Rübe vollböllert um den Fakt zu ertragen, dass er ein Zahlschwein für ein Lifestyleprodukt geworden ist.
Hat Wacken etwas mit Metal zu tun? Natürlich. In etwa so, wie „Beats By Dre“ Kopfhörer sind. 100 Euro Marketing und 20 Euro Technik. Darf jeder nach Wacken? Selbstverständlich. Solange er nicht sagt er geht wegen der Musik hin. Denn die steht seit Jahren noch nichtmal mehr fest. Sollte jeder, der Metal als ernsthaftes Hobby betreibt nach Wacken gehen? Meiner Meinung nach nicht. Denn die bald 1000 Euro, die Ticket, Anfahrt, Zeltequipment, Verpflegung und Urlaub inzwischen kosten dürfte, wären im Underground besser, ehrlicher und kulturell wertvoller angelegt. Beglückwünsche ich eine Undergroundband, die es nach Wacken „geschafft“ hat? Kommt drauf an ob man danach auf dem Boden bleibt und nicht den Larry raushängt weil man 15:00 Uhr auf der „Prmpft-Stage“ spielen durfte, weil irgendein Booker die Band verwechselt hat und es nach dem Ausverkauf tatsächlich nur noch um Kostenminimierung geht.
Fazit: Jeder darf immer noch machen was er will, ich werde allerdings mit meiner Kauf- und Supportentscheidung Klein-Kunst und kein Produkt unterstützen und es jedem ders hören mag ins Gesicht reiben, dass ich was Besseres bin, aus ner Stahlschwelle trinke und er mit seiner 25cent Plastikflasche wo "Metalfamily" draufsteht, scheissen gehen darf.
Oh und eins noch: Wenn es im Innerfield anfängt nach Pisse zu stinken, habt ihr wahrscheinlich dort gelegen, wo ich hingestrullt habe. Meddel Loide...
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